Zwischen gutem Schweigen und guter Kommunikation
Authentisch sein – das bedeutet, sich so zu zeigen, wie man ist; zu seinen Emotionen zu stehen und mit den eigenen Stärken und Schwächen offen umzugehen. Wer authentisch ist, wird für sein Gegenüber greifbar und sympathisch. Authentizität kommt daher auch im Job gut an, sowohl unter Mitarbeitern als auch bei Führungskräften. Doch der Grat bleibt schmal; gilt es doch als wenig professionell, Stimmungsschwankungen an Kollegen auszuleben oder Meinungen allzu leidenschaftlich zu diskutieren. Wo sollte man sich also einfinden, zwischen den beiden Polen Inszenierung vs. Authentizität?
Inszenierung
Eine Lösung, die von Business-Ratgebern empfohlen wird, ist die „professionell inszenierte Authentizität“. Was wie ein Widerspruch in sich wirkt (wie kann Authentizität professionell sein oder gar inszeniert werden?), ist die Empfehlung einiger Coaches, sich so zu präsentieren, wie man gesehen werden möchte (zum Beispiel: selbstsicher mit Geschäftspartnern verhandeln) – und zwar solange, bis diese „Rolle“ zu einem Teil der eigenen Persönlichkeit wird und keiner Anstrengung mehr bedarf. Mit anderen Worten wird ein authentisch wirkendes Verhalten eingeübt.
Authentizität nach Rogers
In der personenzentrierten Gesprächstherapie nach Rogers ist Authentizität eine Grundhaltung für gelingende Kommunikation. Der Therapeut tritt mit dem Patienten in eine wirkliche Beziehung auf Augenhöhe und agiert nicht aus seiner professionellen Rolle heraus. Gefühle, Einstellungen, Werte werden von beiden Seiten unverfälscht geäußert und ermöglichen dadurch echtes Vertrauen und eine Allianz, die nicht durch verdeckte Motive geschwächt wird. Eine solche Echtheit und Transparenz könnte gar nicht geschauspielert (inszeniert) werden: Wenn Mimik, Gestik, Tonfall etc. nicht „echt“ sind, wird das von den allermeisten Menschen sofort bemerkt und entsprechend quittiert.
So gut die Authentizität auch in der Gesprächstherapie funktioniert – sie 1:1 auch auf Geschäftsbeziehungen, Mitarbeitergespräche usw. anzuwenden, dürfte sich nicht empfehlen. Im Berufsalltag prallen schließlich regelmäßig Menschen aufeinander, die ihre ganz eigenen Ziele verfolgen…
Kompromiss: Selektive Authentizität
Eine Lösung für das Dilemma von scheinheiliger Anpassung auf der einen und schonungsloser Offenheit auf der anderen Seite bietet Ruth Cohns Ansatz der selektiven Authentizität. Er besteht darin, sich selbst gegenüber zunächst maximal authentisch zu sein, d.h. alle eigenen Gefühle, Meinungen, etc. wahrzunehmen und anzuerkennen. Im nächsten Schritt soll aber Anderen gegenüber ausgewählt (selektiert) werden, was davon auch tatsächlich geäußert wird, getreu dem Motto:
Nicht alles, was echt ist, will ich sagen, doch was ich sage, soll echt sein.
Zum Beispiel wenn
- es nicht der richtige Zeitpunkt für völlige Offenheit ist
- eine ausführliche Diskussion nicht zielführend wäre oder
- sie einen der Kommunikationspartner übermäßig viel Energie kosten würde.
Auf diese Weise sind respektvolle Kommunikation und Authentizität gleichzeitig möglich. Diese Kombination sollte im Berufsleben den größten Erfolg und das beste Miteinander versprechen.
Übrigens, selektiv authentisch ist auch die Aussage: Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen 😉