(Neue) Arbeitswelt

Individualisierung der Arbeitswelt – ein Trend gesellschaftlicher Veränderung?

Individualisierung; Quelle: geralt/pixabay.com
Geschrieben von Viktoria

Es gibt vieles, was unsere moderne Gesellschaft ausmacht. Eines davon – das Streben nach individueller Lebensweise.
Seit den 1960er Jahren hat Individualität mehr und mehr an Bedeutung gewonnen. Das merken wir unter anderem daran, dass uns die Selbstverwirklichung im Job, im Studium und im Alltag immer wichtiger wird. Arbeitszeiten wollen wir uns gerne selbst einteilen, uns die Möglichkeit zum Quereinstieg offenhalten und Familie erst dann gründen, wenn wir unsere eigenen Ziele verwirklicht haben.
Das alles klingt zwar einstimmig positiv, doch bedeutet die Individualisierung von Arbeitszeiten und Arbeitsformen nicht alleinig mehr Arbeitsflexibilität. Prekarisierung, also Unsicherheit im Job, als auch Risiken für die Gesellschaft, sind nicht abwegig.

Trend zur Individualisierung der Arbeitswelt: Mehr Freiheit bringt mehr Risiko mit sich

Eigentlich haben wir doch so einiges auf die Beine gestellt. Immer mehr Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeitern Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice. Work-Life-Balance wird bei vielen Unternehmen großgeschrieben und zahlreiche Weiterbildungsangebote ermöglichen es uns, ständig up to date zu bleiben und keine neuen Trends zu verpassen.
Doch wird die neu gewonnene Individualität in der Arbeitswelt einigen zum Verhängnis. Denjenigen, die mit dem ständigen sich „weiterhangeln“ und flexibel sein nicht mithalten können. Die nicht die Ellenbogen ausfahren oder sich im Job besonders verwirklichen wollen. Die in kapitalistischen Gesellschaften „industrielle Reservearmee“ wird überflüssig. Ist abgehängt. Findet selbst in wirtschaftlich guten Zeiten keine Arbeit mehr. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck spricht von einer Risikogesellschaft, in der sich Arbeitslosigkeit gleichmäßig über alle Schichten verteilt und so jeden treffen kann.

Unternehmenskultur wird zum identifikationsstiftenden Faktor

Damit diese Mitarbeiter nicht auf der Strecke bleiben, muss das Unternehmen eine passende Kultur etablieren. Eine Unternehmenskultur wird vor allem durch Führungskräfte geprägt und durch den privaten Austausch zwischen Mitarbeitern – zum gemeinsamen Mittagessen oder in Kaffeepausen – gestärkt. Räumliche Flexibilität erschwert den Aufbau einer entsprechenden Unternehmenskultur unnötig. Die Firmen müssen das richtige Maß zwischen der nötigen physischen Präsenz bei maximaler Flexibilität und der damit verbundenen Kommunikation schaffen. Mit all den involvierten Faktoren fällt das den Unternehmen zunehmend schwerer.

Arbeitswelt individualisiert sich: Mit dem Wohlstand verändern sich die Werte

Dabei fühlt es sich an, als wären wir schon so weit gekommen. Seit den 1969 Jahren haben grundsätzliche Wertveränderungen stattgefunden. Statt Gehorsam und Unterordnung spielen Selbstständigkeit, Fleiß und der freie Wille eine zunehmende Rolle. Grund dafür ist nicht zuletzt die Wohlstandssteigerung, die Verkürzung der Arbeitszeit und die Steigerung des Bildungsniveaus seit den 1960er Jahren. Ronald Inglehart zum Beispiel, amerikanischer Politologe und Soziologe, beschreibt in seinen Thesen zum Wertewandel das Phänomen der mit zunehmendem Wohlstand eher demokratischen und nach Selbstverwirklichung strebenden Menschen, gegenüber denen, die Sicherheit und materielles Wohlergehen bevorzugen. Seit 1990 wurde die Individualisierung besonders durch die zunehmende Globalisierung und die technologischen Innovationen vorangetrieben. Die Einführung des Internets, der sozialen Medien und des Web 2.0 schafften laut Dunja Ewinger Plattformen, wodurch sich Individuen frei ausdrücken und darstellen konnten.

Individualisierung: Selbstverwirklichung oder doch eher Selbstverantwortung?

Was diese Selbstverwirklichung aber mit sich bringt, ist Selbstverantwortung. Auch, oder vor allem, im Beruf oder Studium. Für Unzufriedenheit mit der eigenen Situation kann die Gesellschaft nicht verantwortlich gemacht werden. Sie kann höchstens die Umstände beeinflussen, die einen drängen, sich flexibler, lernbereiter und aufgeschlossener zu verhalten. Das Risiko, indem was man tut zu scheitern, hat es schon immer gegeben. Was sich aber verändert hat, ist der Anteil der Selbstschuld, den der Einzelne daran trägt.

Was ich tue und wofür ich mich entscheide erfolgt im Bewusstsein, dass es auch anders sein könnte und dass es meine Entscheidung ist, es so zu tun. Das ist die unaufhebbare Reflexivität unserer Lebensverhältnisse: Es ist meine Entscheidung ob ich mich in einer Gewerkschaft, in einer Kirchengemeinde oder in beiden engagiere oder es lasse.

(Heiner Keupp in ,,Identität und Individualisierung: Riskante Chancen zwischen Selbstsorge und Zonen der Verwundbarkeit – sozialpsychologische Perspektiven“)

Über den Autor

Viktoria

Viktoria war 2015-2017 Praktikantin bei uns. Sie studierte im Bachelor Wirtschaftswissenschaften und Soziologie. Vicki, wie wir sie nennen dürfen, unterstützte uns im Recruiting und im Personalmarketing - und versorgt uns natürlich mit Blogartikeln, in denen sie ihre Sicht der Dinge auf Studium, Informatik und Arbeitswelt schilderte.