Eine Innovation der Unternehmenskultur?
Der Chef des Otto-Versand Hans-Otto Schrader hat seinen 53.000 Mitarbeitern das Du angeboten. Sie sollen ihn zukünftig „Hos“ nennen. Daimler-Chef Dieter Zetsche tritt gern in Jeans und ohne Schlips auf. Dieses Verhalten, einhergehend mit dem Business-Du, wird als Mittel des Kulturwandels in deutschen Unternehmen verstanden. Wenn Mitarbeiter ihre Vorgesetzten duzen, soll damit das Gefühl vermittelt werden, dass alle Freunde, eine Familie sind. Doch wie sehen das die Arbeitnehmer? Wie begeistert sind sie von der Regelung, von einem eher coolen Auftreten des Managements?
Das Business-Du aus Sicht der Arbeitnehmer
Viele Arbeitnehmer fühlen sich dabei eher unwohl. Sie möchten im Job lieber auf Distanz bleiben. Ein Chef, der das Du einführt, nimmt seinen Angestellten automatisch die Distanz, die sie zu ihm wahren möchten.
„Wer „Sie“ sagt ist nicht gleich distanziert sondern höflich. Er gibt dem anderen die Möglichkeit, auf Distanz zu bleiben, wenn er möchte. Das Sie macht klar, dass man zwar in bestimmten Funktionen miteinander zu tun hat, deswegen aber noch keine persönliche Verpflichtung eingeht. […] Der Chef darf sich nicht einbilden, dass er mit dem Monatsgehalt auch persönliche Freundschaft einkauft.“ Zeit Magazin, 4. März 2016
Sowohl das Du im Deutschen als auch das You im Englischen haben keinerlei freundschaftliche Bedeutung. Die Zwangsduzerei wird oft als unangenehm empfunden, denn gerade im Angestelltenverhältnis muss man sich oft mit Leuten duzen, mit denen man außerhalb der Arbeit nichts zu tun haben möchte. Die Einführung der angelsächsischen Unternehmenskultur wird als Innovation als eine neue, offene Unternehmenskultur verkauft. Oder ist sie doch nur ein verzweifelter Versuch der Chefetage, hip und cool zu erscheinen, ein Mithalten mit dem Zeitgeist?
Gefahren der Duz-Kultur
Unabhängig von der Antwort auf diese Fragen birgt diese Entwicklung einerseits die Gefahr, dass Vorgesetzte mit der Annäherung an ihre Mitarbeiter ihre Führungsfunktion verlieren.
„Ihre wichtigste Aufgabe ist und bleibt es, Entscheidungen zu treffen. Daran hat sich nichts geändert. Mehr Nähe, um einzelne Sachargumente der Mitarbeiter besser verstehen zu können, ist die eine Sache; kritische Distanz, um sie gegen andere Ansichten abzuwägen, die andere.“ FAZ Online, 3. April 2016
Andererseits lassen sich jüngere Mitarbeiter nicht mehr so viel gefallen wie ältere. Sie können sich diese Haltung leisten. „Demografischer Wandel, Globalisierung, Digitalisierung und Individualisierung haben nicht nur das Arbeitsleben, sondern auch den Arbeitnehmer verändert“, sagt Josephine Hofmann vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). „Gerade jüngere Arbeitnehmer haben oft einen immensen Wissensvorsprung, sind Spezialisten auf ihren Gebieten. Sie sind technisch fitter, können sich Wissen viel schneller zusammensuchen und aneignen.“ Sie kennen Ihren Marktwert und haben klare Vorstellungen von ihrem Berufsleben. Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, flexible Arbeitszeiten und -orte, ein gewisser Spaßfaktor sind die Anforderungen der Mitarbeiter von heute an ihren Job.
Führen unter neuen Wertvorstellungen
In 2015 war ein Drittel der Beschäftigten offen für einen Jobwechsel. Dabei war nicht eine bessere Bezahlung der ausschlaggebende Faktor, sondern vielmehr der Wunsch nach geeigneteren Vorgesetzten, ein fairerer Umgang miteinander und andere Arbeitsinhalte. Damit sind der Ärger über den Vorgesetzten und fehlende Anerkennung Kündigungsgrund Nummer eins in Deutschland.
„Dass da etwas nicht mehr stimmt, ist auch den Führungskräften bewusst: Nicht einmal die Hälfte glaubt, dass der Führungsstil in der eigenen Firma den Anforderungen der Zukunft genügt. Oder dass er geeignet ist, die Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Weniger als ein Drittel der Führungskräfte bezeichnet das auf Effizienz und auf Profitmaximierung ausgerichtet Management noch als persönliches Idealmodell von Führung. Fast 80 Prozent der deutschen Manager sind davon überzeugt, dass sich die Führungspraxis in den Unternehmen grundlegend ändern muss. “ Der Spiegel, 14/2016, „Per Du mit dem Chef“ , S. 75
Die Mitarbeiter haben veränderte Wertvorstellungen. Sie legen Wert auf die eigene Weiterentwicklung, die regelmäßiges Feedback und die Möglichkeit sich weiterzubilden beinhaltet.
Vorgesetzte müssen sich darauf einstellen, weniger zu kontrollieren und anzuleiten und mehr zu inspirieren und zu coachen. Selbstbewusste Mitarbeiter verfolgen eine individueller Entwicklung und Entfaltung, bei der Vorgesetzte sie unterstützen sollten. Und trotzdem dürfen sie nicht die Kontrolle verlieren. Denn wer die Kontrolle verliert, büßt sehr schnell an Legitimität und Rückhalt ein. Da ist es letztendlich auch nicht hilfreich mit allen per du zu sein.