(Neue) Arbeitswelt IT & Technik

Was bringt Time-Tracking am Arbeitsplatz?

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Geschrieben von Ramon

Die meisten Unternehmen haben inzwischen erkannt: Zeit ist eine knappe, für einige sogar die wichtigste Ressource. Kein Wunder also, dass in unserer digitalisierten Arbeitswelt neben der Zeitplanung auch die (elektronische) Zeiterfassung längst zum Berufsalltag gehört. Aber muss am Arbeitsplatz wirklich immer und alles „getrackt“ werden? Lässt sich diese Zeit nicht sinnvoller einsetzen? Und was ist mit kreativen Tätigkeiten, passen die überhaupt in einen Zeitplan? Wir haben uns das Thema für euch mal genauer angesehen. Starten wir mit einem Erfahrungsbericht:

Die Zeit läuft: Time-Tracking im Selbstversuch

Seit einigen Monaten nutzen wir in unserem Entwicklungsteam das Tracking-Tool „toggl“, um unsere Arbeitszeiten festzuhalten. Davor haben wir schon andere Mittel der Zeiterfassung probiert, aber mit toggl sind wir bisher am besten zurechtgekommen. Bereits in der kostenlosen Version stehen neben individueller und Team-Zeiterfassung auch nützliche Reporting- und Export-Funktionen zur Verfügung. Zudem ist toggl sowohl im Browser als auch als Desktop- oder mobile App erhältlich. Insgesamt ist die Nutzung unkompliziert und macht mittels einiger Gamification-Elemente sogar richtig Spaß.

Mein persönlicher Eindruck ist, dass ich ein besseres Gefühl dafür entwickelt habe, wie viel Zeit für bestimmte Aufgaben (tatsächlich) nötig ist. Das direkte Feedback hilft bei der Selbstkontrolle: „Mensch, jetzt sitzt du schon über eine Stunde an diesem Blogartikel, dabei wolltest du dir doch nur 30 Minuten Zeit für die Recherche nehmen…“ Die Erinnerungsfunktion empfinde ich persönlich als hilfreich, aber ich kann auch verstehen, wenn andere dies als „Gängelung“ wahrnehmen.

Die Möglichkeit, sich Reports ausgeben zu lassen, ist äußerst vorteilhaft. So minimiert sich der Aufwand, um zum Beispiel am Ende der Woche für die Lohnbuchhaltung die eigenen Arbeitszeiten in ein anderes System zu übertragen. Das bietet sich insbesondere dann an, wenn man in mehreren Projekten gleichzeitig aktiv ist. Daher werden solche Tools auch gerne von Freelancern genutzt, manche Features – wie die automatische Rechnungslegung – wurden sogar eigens für Selbstständige entwickelt!

Allerdings kann auch bezweifelt werden, welche Erkenntnisse sich aus der erfassten Arbeitszeit tatsächlich gewinnen lassen. Man stellt sich die Frage: Was nützen mir die ganzen Daten, wenn die Einschätzung eines erfahrenen Kollegen genauso verlässlich ist? Vor allem für junge Menschen oder solche, die gerade eine neue Tätigkeit aufgenommen oder einen Berufswechsel hinter sich haben, eignet sich Time-Tracking. Die Nutzung solcher Tools kann dabei helfen, ein Gefühl für den eigenen Lernfortschritt zu entwickeln und so eigene Erfahrungswerte auszubilden.

Ich denke, dass sich Time-Tracking dazu eignet „verkrustete Strukturen“ in Unternehmen aufzubrechen. Bestehende Prozesse kann man so unvoreingenommen und aufgrund valider Daten neu bewerten. Das klingt in der Theorie einfacher, als es sich in der Praxis umsetzen lässt. Also beenden wir unseren kleinen Selbstversuch an dieser Stelle, gehen nochmal einen Schritt zurück und fragen danach, aus welchem Grund wir unsere Arbeitszeit überhaupt erfassen müssen.

Time is little – und auch die Aufmerksamkeit ist knapp

Ebenso wie die Zeit ist unsere Aufmerksamkeit ein knappes Gut: Beides ist nur begrenzt verfügbar, aber unsere Aufmerksamkeit wird ständig beansprucht – und wir sind gefordert, damit gut zu haushalten. So haben sich unbemerkt viele „Helferlein“ in unseren Alltag geschlichen, etwa um Termine zu planen oder erledigte Aufgaben zu dokumentieren. Zeiterfassung ist dabei der kleine Bruder des Buzzwords „Zeitmanagement“. Schicke Tracking-Apps sind nur einen Daumendruck entfernt, sie versprechen einen selbstbestimmten Lebenswandel durch die Optimierung unserer (Frei-)Zeit. Aber sie fordern eben auch unsere Aufmerksamkeit und Energie – und sind damit im schlimmsten Fall nur weitere „Zeitfresser“.

Im beruflichen Kontext sieht das etwas anders aus: Hier bedeutet ein effizienter Umgang mit der eigenen Arbeitszeit, dass Mitarbeiter die verfügbaren Ressourcen optimal nutzen. Das ist das betriebswirtschaftliche Einmaleins. Je nach Art der Tätigkeit ist die Einhaltung fester Time-Slots sogar Voraussetzung, dass bestimmte Prozesse im Unternehmen überhaupt funktionieren bzw. die Kollegen ihre Arbeit machen können. Wenn etwa eine Managerin im produzierenden Bereich keinen Überblick darüber hat, ob die geleistete Arbeitszeit effizient genutzt wird, kann sie auch keine realistische Planung für die Zukunft anstellen.

Uhr CountdownNicht zuletzt ist eine solche Einstellung aber auch ein Ausdruck von Professionalität: Wer seine Arbeit ernst nimmt, möchte seine Zeit gerne optimal nutzen können. Und dazu gehört eben auch ein bewusster Umgang mit Zeit. Voraussetzung dafür ist eine möglichst objektive Erfassung derselben.
Aber ist elektronische Zeiterfassung überhaupt für alle Berufe relevant? Und warum sollte es gut überlegt sein, bevor man sich für ein bestimmtes System entscheidet?

Elektronische Zeiterfassung bei der Arbeit

Während die Arbeitszeit in kleineren Unternehmen oftmals Vertrauenssache ist, sind spätestens beim Mittelstandsunternehmen unterschiedliche Formen der elektronischen Zeiterfassung etabliert. Das kann manuell über die altmodische Stechuhr oder aber vollautomatisch über Chips oder Zugangskarten ablaufen. Dass es aus unternehmerischer Sicht durchaus sinnvoll sein kann, im Sinne der Produktivitätssteigerung die Arbeitszeit der Mitarbeiter zu erfassen und auszuwerten, haben wir bereits erläutert – das wird wohl niemand bestreiten.

Zum einen ermöglicht die elektronische Zeiterfassung individualisierte Arbeitszeitprofile: Durch die Digitalisierung verringert sich zudem der Aufwand für Personalabteilung und Lohnbuchhaltung enorm. Zum anderen bietet eine objektive und verlässliche Dokumentation der Arbeitszeit auch eine gewisse Sicherheit. Im Unterschied zur sogenannten Vertrauensarbeitszeit profitiert auch der Arbeitnehmer davon, etwa wenn es um eine faire Abrechnung von geleisteten Überstunden geht.

Aber Time-Tracking bietet nicht nur Vorteile. Für den einen oder anderen Chef mag es verlockend erscheinen zu überprüfen, ob seine Mitarbeiter ihre Arbeitszeit auch effizient nutzen. Das Thema Vertrauen spielt dabei also eine große Rolle. Eine lückenlose digitale Erfassung signalisiert auch immer: „Ich habe dich im Blick.“ Werden die erhobenen Daten nur dazu genutzt, das Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken der Mitarbeiter zu fördern, kann eine vermeintlich objektive Erfassung à la „Die Zahlen lügen nicht!“ schnell das Betriebsklima vergiften.

Wie viel Kontrolle durch den Arbeitgeber ist beim Thema Zeiterfassung arbeitsrechtlich überhaupt erlaubt?

Werfen wir doch einen kurzen Blick auf die rechtliche Situation: Prinzipielle Regelungen finden sich im Arbeitszeitgesetz (ArbZG), Änderungen in der gesetzlich vorgeschriebenen Zeiterfassung wurden zuletzt 2014 im Zuge des Mindestlohngesetzes vorgenommen.

Anders als häufig angenommen, ist die Kontrolle der Arbeitszeit nicht grundsätzlich verboten. Acht bis zehn Stunden am Tag sind zulässig und gelten als reguläre Arbeitszeit. Dazu zählen auch Ruhe- und Mittagspausen, deren Einhaltung gesetzlich vorgeschrieben ist. Mit dem Ende der täglichen Arbeitszeit ist eine 11-stündige Ruhepause garantiert, die man für einzelne Berufsfelder auch verkürzen kann (z.B. Bereitschaftsdienst bei Ärzten).

Damit sich Arbeitgeber und -nehmer an die Regelungen halten können, braucht es natürlich eine Form der Zeiterfassung als gemeinsamer Grundlage.

Vertrauen allein reicht da nicht aus: Wer bei der Zeiterfassung trickst, kann berechtigterweise schnell den Job verlieren.

 

Wo bietet sich Time-Tracking an? Worauf sollte man achten?

Vor allem im Projektgeschäft und im Dienstleistungssektor gehört eine verlässliche Zeiterfassung zum Standard, nicht nur um dem Kunden gegenüber transparent zu agieren und Rechenschaft ablegen zu können. Hier bieten professionelle Tools wie Atlassians „Jira“ zum Teil umfassende Funktionen an, von denen Time-Tracking nur ein kleiner Bestandteil ist.

Software zur Zeiterfassung wird heutzutage häufig auch als App angeboten, und bietet zudem die Möglichkeit, verschiedene Geräte zu synchronisieren. Es kann auch von Vorteil sein, verschiedene Optionen auszuprobieren, da jeder Typ anders tickt: Für Menschen, die ein haptisches Feedback brauchen, kann ich beispielsweise den „Timeular“-Würfel von ZEI empfehlen. Insbesondere die mobile Nutzung kann die Schwelle senken, solche Tools zu nutzen: So lässt sich schnell und ohne großen Aufwand testen, ob ein neues System von Mitarbeitern angenommen wird.

Nicht zu empfehlen sind dagegen Standard-Lösungen! Jedes Unternehmen ist anders aufgestellt und braucht daher ein individuell zugeschnittenes System. Die Akzeptanz eines Tools hängt wesentlich davon ab, ob die Mitarbeiter selbst einen Nutzen darin sehen und für sich gewinnbringend einsetzen können. Das kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn sie sich spürbar besser auf wichtige(re) Aufgaben konzentrieren können.

Bestimmte Aufgaben erfordern andere Formen der Zeiterfassung

Doch nicht alle Tätigkeiten sind gleich. Es gibt eine natürliche Spannung zwischen Routinearbeiten, die festgelegten Mustern folgen und beliebig wiederholbar sind, ergo sich gut messen und optimieren lassen – und eher kreativen Aufgaben, für die Freiräume geschaffen werden müssen, nicht Zeitpläne. Nicht zu verwundern also, dass sich bei manchen Arbeitnehmern mitunter Ärger über die leidige Zeiterfassung einstellt, die sie gerade bei nicht-standardisierten Tätigkeiten als unnötig und lästig empfinden.

Kreativität auf Knopfdruck: Sei kreativ – aber bitte jetzt!

Pioniere-Denkblase Quelle: TeroVesalainen/pixabay.comDas Wesen von Kreativität besteht genau darin, dass die verfügbare Zeit eben nicht „effizient“ genutzt und auch kein bestimmtes Ergebnis erzielt werden muss. Stattdessen handelt es sich um einen Raum der Muße, den man individuell gestalten muss und der schlicht nicht messbar ist. Ein paar Beispiele, wo die Zeiterfassung nicht an erster Stelle stehen sollte:

  • Aufgaben sollten von ihren Bearbeitern nicht getrennt betrachtet werden, denn Menschen gehen die ihnen gestellten Aufgaben ganz verschieden an. Insbesondere in kreativen Berufsfeldern wie Marketing, Design oder sogar beim Programmieren gibt es Arbeitsanteile, die einen subjektiven Zugang und mitunter auch Zeiteinheiten erfordern, die nicht von vornherein festgelegt sind.
  • Darüber hinaus gehen Menschen mit Timern, Countdowns und automatischen Erinnerungen, die eigentlich den Alltag strukturieren helfen sollen, unterschiedlich um. Was die eine als hilfreich empfindet, löst beim anderem unnötigen Stress und Schweißausbrüche aus.
  • Eine einseitige Fokussierung auf die Arbeitszeit kann zur Folge haben, dass das Ergebnis bzw. die Qualität der Arbeit darunter leidet. Ein stark reglementiertes Zeitmanagement ist in einigen Berufsfeldern weniger angebracht. Denkt man etwa an die häusliche Krankenpflege oder soziale Dienste, wo menschliche Beziehungen an erster Stelle stehen. Zeit zu haben bzw. sich diese zu nehmen ist dabei wichtiger als eine objektive Einschätzung der Arbeitszeit.

Time over: Was bringt Time-Tracking wirklich?

Wie wir gesehen haben, kann elektronische Zeiterfassung viele Gesichter haben. Die verschiedenen Tätigkeiten der modernen Berufswelt erfordern einen differenzierteren Umgang mit dem Thema, eine einfache Antwort gibt es nicht. Daher kann ich euch nur ermuntern: Probiert verschiedene Formen der Zeiterfassung aus, wenn ihr die Möglichkeit dazu habt. Und macht euch stets bewusst, wofür ihr Time-Tracking wirklich nutzen wollt.

Über den Autor

Ramon

Ramon hat in Jena, Magdeburg und Maputo (Mosambik) studiert und kam Anfang 2018 über ein Praktikum zum IT-Consulting-Team. Mit seinem bildungswissenschaftlichen Hintergrund unterstützte er u.a. die Aus- und Weiterbildung des IT-Teams.